authentische Sichtbarkeit gibt's nur im Doppelpack
Wann immer in einem Persönlichkeitsentwicklungs-Seminar die Reihe an mich kam und ich sagen sollte, wie es mir geht, wurde ich nervös. Ich war zwar eine gute Zuhörerin. Aber über mein Innerstes zu sprechen war total schwierig.
Wer mich etwas besser kennt, wundert sich vielleicht, denn ich habe immer gerne Vorträge gemacht, Seminare geleitet, internationale Projekte koordiniert. Ich konnte wunderbar über sachliche Dinge reden.
Natürlich habe ich in so einer Runde trotzdem was gesagt. Aber es fühlte sich nicht echt an, ich war angestrengt und unsicher. Selbst wenn ich darüber sprach, wie unsicher es mich macht. Ja, ich war nicht mal sicher, ob meine Worte wirklich wahr sind.
Das lag daran, dass ich meiner Wahrnehmung lange Zeit selbst nicht trauen konnte. Ich war so überzeugt, dass jemand anders da draussen mich viel genauer erkennen kann als ich selbst. Und ich hatte ein riesiges spirituelles Superego, welches mit mir konstant ins Ohr säuselte: „Nach so vielen Seminaren solltest du das im Griff haben!“ Ich schämte mich dafür, an manchen Punkten so sehr im Unterholz zu stehen.
Meine Unsicherheit ist kein Wunder, ich wuchs mit einem Vater auf, der ein echter Patriarch war. Laut sein, eine Meinung haben oder noch schlimmer, eine andere Meinung zu haben waren in unserer Familie kein kluger Schachzug. Parieren war sein Lieblingswort und es löst heute noch leichte Übelkeit in mir aus. Dazu gab es eine kritische Mutter, deren Ansprüche einfach nicht zu erfüllen waren.
Ich wurde also eine Macherin, eine „Chrampferin“ (O-Ton Schweiz). Ich habe jede Menge Diplome, Projekte, Geld und Reisen manifestiert. Ich wusste, wie man sich anstrengt. Ich war gut darin, Projekte für andere auf die Beine zu stellen. Doch es gab eine komische, unsichtbare Handbremse in dem System.
Ich hatte keine Vorstellung davon war es heisst, Kraft und Power für mich zu haben. In mir war eine tiefe, gut maskierte Angst, in Wahrheit ohnmächtig zu sein. Und Dinge tun, die mir wirklich am Herzen liegen bedeutete, in Kontakt mit dieser Ohnmacht zu kommen und mit dem alten Schmerz rund um meine Familie.
Kein Wunder hatte ich einen bunten Lebenslauf und erst auf den zweiten und dritten Blick habe ich verstanden, was die treibende Kraft hinter all meinen Wegen war. Ich war auf der Suche nach meiner Stimme, meinem Ausdruck wie ein Fisch das Wasser sucht. Das war die Motivation für viele, viele Ausbildungen. Das war das magische Puzzleteil, das ich unbedingt haben musste.
Auf meiner Schatzsuche habe ich ein paar verrückte Umwege gemacht, weil ich lange aussen suchte, was mir innerlich fehlte. Die jüngsten davon: Ich ging auf eine Schauspielschule, weil ich dachte, dass ich hier lernen würde, wie man sichtbar wird. Das erste was dort geschah war der komplette Verlust meiner Stimme. Meine Lehrer haben nur wissend gelächelt, ich hatte das erst Mal im Leben eine Kehlkopfentzündung. Und die ist oft eine emotionale Reaktion auf den Stress, sichtbar zu werden. Und ich habe jede Menge Copywriter (Texter) verbraten, weil ich glaubte, dass die besser auf den Punkt bringen könnten, wer ich bin.
Meine Stimme finden war nicht einfach so zu haben, nicht mal mit Unterstützung. Meine Emotionen pendelten hin und her zwischen der Angst bei meiner Suche zu versagen und einer eigenartigen Unermüdlichkeit. Etwas in mir biepte die ganze Zeit und sagte: Finde mich, finde mich, finde mich…...
Dann dämmerte es mir:
- Ich wollte sichtbar werden und dabei toll sein. Makellos. Kompetent, fehlerfrei und schön frisiert.
- Und wenn ich ehrlich war, konnte ich nicht genau auf den Punkt bringen, wofür ich stehe und was ich eigentlich sichtbar machen wollte.
Ich musste das Perfektions-Handtuch werfen und glaub mir, das war nicht freiwillig. Doch das Leben hat mich damit ganz schön getestet. Perfekt ging einfach nicht. Innerlich nicht und äusserlich erst recht nicht. Software versagte, Dateien verschwanden, eine Hitzewallung hat mein Make Up ruiniert und ich konnte keinen Text für meine Videos auswendig lernen. Einfach keine Chance.
Meine Stimme war ein Geschenk, das es nur im Doppelpack gab. Ich konnte meine Stimme nur finden, wenn ich bereit war, mich von dem Gefühl von Ohnmacht zu verabschieden. Und hier hatte ich ein riesiges AHA. Je mehr ich von meinen Perfektions-Ansprüchen loslassen musste, desto mehr Klarheit gewann ich und desto mehr haben sich meine alten Ängste aufgelöst.