Nahe Feinde, ferne Feinde und Performance

Nahe Feinde, ferne Feinde und Performance

Eine Landkarte für die Leader der neuen Zeit

Ich möchte eine Landkarte mit dir teilen, die mich gerade sehr beglückt und die ich in Bréné Browns neuestem Buch: "Atlas of the Heart" entdeckt habe. In ihm beschreibt Brown dreiundachtzig Emotionen, die uns helfen, die komplizierten Gefühle rund um die Themen Beziehung und Verbundenheit zu verstehen und benennen zu können. 

Landkarten sind Modelle, die eine Dynamik mit Worten und / oder Skizzen auf den Punkt bringen. Und diese Landkarte von Bréné Brown heisst: «near and far enemies» Es ist ein Begriff, der aus dem Buddhismus stammt und den man unterschiedlich ins Deutsche übersetzt als «direkte und indirekte» Feinde oder als «nahe und ferne» Feinde. 

Es bedeutet, dass es zu den erstrebenden Geisteshaltungen wie Mitgefühl, Gleichmut, liebende Güte und mitfühlende Freude – ganz offensichtliche Antagonisten gibt – die direkten Feinde. Es ist sofort klar, dass es sich hier um einen Gegensatz handelt. Und dann gibt es Nachahmungen von den Dingen, die uns wichtig und heilig sind, die zwar fast so aussehen wie das Original, aber uns und anderen letztendlich schaden. 

Nehmen wir als Beispiel «Mitgefühl».
Der ferne Feind von Mitgefühl ist Abwendung und dieses Verhalten ist leicht zu erkennen. Wenn du mir etwas persönlich Wichtiges erzählst und ich höre nicht zu, unterbreche dich und mach mich vielleicht noch lustig über dich, dann es ist sofort klar, dass ich mich abwende und wie ein Idiot verhalte. 

Schwieriger wird es mit dem nahen Feind - dem Mitleid:
«Ah, du Arme, es tut mir so leid, dass du sowas erleben musst. Mach doch dies oder jenes…» Es sieht oberflächlich engagiert aus, aber es kommt aus einem Gefühl von: Ich bin ich froh, dass es nicht mich erwischt hat.
Mitleid trennt und macht den anderen klein. Wenn ich in Mitleid ausbreche oder dir Ratschläge gebe, gibt es mir erst mal ein gutes Gefühl, aber du wirst dich kleiner, unsicherer fühlen und weniger verbunden mit deinen eigenen Ressourcen. Was dazu kommt: Wir haben keine Erfahrung von echtem Kontakt gemacht. 

Wir alle haben die Tendenz Ratschläge zu geben, wenn wir etwas nicht fühlen wollen oder können. Es ist eine Form, energetisch auszuchecken, anstatt mit jemanden anwesend bleiben zu können. Das passiert, wenn die Gefühle für uns zu schwierig und schmerzlich sind.

Echtes Mitgefühl findet auf Augenhöhe statt, es beruht auf geteilter Menschlichkeit. Und es schafft echte Verbindung.   

Das Spannende an dem Modell der direkten und indirekten Feinde ist, dass es sich auf alle Haltungen und Gefühle anwenden lässt, die wir erstrebenswert finden. Nicht nur in unseren Beziehungen, sondern auch in unserem Business. 

Mich beschäftigt diese Dynamik seit langem und ich nenne sie «Performance». Ich habe sie an mir beobachtet, vor allem, wenn es um authentische Sichtbarkeit geht.

Das bedeutet, dass ich mein Verhalten, meist unbewusst und in Lichtgeschwindigkeit an eine Situation anpassen kann – wenn ich dazugehören will. Das passiert, wenn ich unsicher bin, mein Nervensystem nicht reguliert ist und ich nicht wach genug bin für meine Gefühle.

Und je nachdem, welche Spielregeln es meiner Meinung nach in einem Kreis gibt, habe ich das Gefühl, ich muss mich besonders verletzlich zeigen, oder besonders «high-vibe», besonders intelligent, begeistert, cool oder gebildet.

Ich habe es in meinen eigenen therapeutischen Ausbildungen beobachtet – vor allem mit dem Thema Verletzlichkeit. Das schien mir der heilige Gral zu sein. Verletzlichkeit war DAS Gütesiegel für Authentizität. 

Nun, gegen Verletzlichkeit und Authentizität ist nichts einzuwenden. Sie haben Einzug gehalten in Leadership-Coachings und in der Wirtschaft.

Das Problem besteht darin, dass es einen nahen Feind gibt – die Performance – oder genauer gesagt, die Performance von Authentizität. Der Versuch, etwas zu fühlen und zu sein, was aktuell in uns gar nicht passiert.

Und Performance ist die Hürde, wenn es um Business Klarheit geht. Wir können unsere Ideen nur dann auf den Punkt bringen, wenn wir lernen, mit schwierigen Emotionen zu entspannen. Zum Beispiel, weil wir im Nebel stecken, weil glauben, wir müssten schon weiter sein, weil wir uns bewerten. 

Echte Klarheit beginnt interessanterweise genau in dem Moment, wo wir uns endlich erlauben können, alles von uns mit ins Boot zu nehmen. Alle Wege, Umwege, Unsicherheit und inneren Nebel. 

Dann können wir unseren roten Faden sehen und unsere Superpower erkennen, weil wir so, wie wir sind, genug sind. 






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Atlas of the Heart: Mapping Meaningful Connection and the Language of Human Experience»